Die Klagen über die Verrohung der Welt sind nicht neu. Schon im alten Griechenland beschrieben Lehrer und Alte, dass die Jugend Anstand, Fleiß und Respekt verlieren würde. Und heute? Dieselbe Klage. Und tatsächlich muss ich mich doch oft dieser klagenden Worte anschließen. Egal ob in Schule, Beruf, bei Veranstaltungen oder einfach nur im öffentlichen Alltag. Wenn ich mich an meine Kindheit und frühe Jugend zurückzuerinnern versuche, stoße ich oft auf vergleichbare Situationen im Heute, die ich mir so vor nur 20 Jahren niemals hätte vostellen können – oder zumindest nicht in dieser Regelmäßigkeit und Heftigkeit. Da frage ich mich schon wieso und woher. Ist das Leben wirklich schwerer und gefährlicher geworden? Oder ist gerade das Gegenteil der Fall? Haben wir zu viele Wahlmöglichkeiten und der ganze Luxus überfortet uns? Sind wir unfähig, unwillens oder einfach zu faul geworden? Haben wir zu wenig oder zu viel Freiraum und Freizeit? Wie sieht es mit der Erziehung im Allgemeinen aus? Sind wir nicht offen und wohlwollend genug mit unserem eigenen Nachwuch oder übetreiben wir es damit allzuoft? Sind wir uns selbst gengenüber womöglich zu wohlwollen, also einfach egoistisch oder legen wir die Ansprüche so hoch, dass wir nur mit Überforderung und Barschheit reagiern können? Antworten oder zumindest Thesen können viele wissenschaftliche Disziplinen anbieten. Aber wie sieht es aus mit den Lösungen? Oder doch wenigstens Lösungsvorschläge. Ideen gäbe es einige. Aber eben genau zu deren Umsetzung benötigt die Gesellschaft Einigkeit. Und früher wie heute ist das die Herausforderung. Gemeinsamkeiten im alltäglichen Umgang miteinander finden und sich vielleicht auch mal gegen den eigenen inneren Impuls an diese halten. Solche Normen und Werte sind nicht neu, ja sie verändern sich auch im Laufe der Zeit, haben kulturelle Färbungen. Und trotzdem drehen sie sich doch oft um gleiche oder zuminderst vergleichbare Grundhaltungen einer sozialen Gesellschaft. Sie sind eben nicht einfach nur konservativ oder altmodisch. Denn kann vorausschauendes, rücksichtsvolles Handeln überhaupt aus der Mode kommen? Normen und Werte haben eben nicht nur begrenzende, sonder auch befreiende Wirkung. Sie sind Grundlage für das Gelingen all der flüchtigen oder intensiveren Begegnungen mit Anderen. Sie geben eine Richtung vor, eine Richtschnur an der man sich ausrichten kann. Liegt in diesen Worten nun nur zufällig auch ein „Richtig“ verpackt? Wir sollten uns all der kleinen Weisheiten, wie ich sie zum Beispiel aus meiner Kindheit kenne, bedienen, die heute leider viel zu oft als altbachen abgetan und damit vergessen werden. Wie eben “ Was du nicht willst, das man dir tut…“, oder auch „Die eigene Freiheit hört da auf, wo…“. Wir alle sollten versuchen „Mit gutem Beispiel voran zu gehen.“ Das mag und kann, ja soll nicht immer zu 100% gelingen, aber eben oft genug, dass wir uns erlauben Rücksicht zu nehmen. Auf andere und damit auch auf uns. Wir können uns zurücknehmen ohne uns selbst immer nur hinten anzustellen. Wir sollten uns öfter fragen, ob uns diese eine Situation wirklich schadet, wenn wir auch einmal zurückstecken. Diese Situationen können freilich für jeden etwas anderes sein und bedeuten, aber eine Grundlage könnten sie durchaus bilden. Die Grundlage für ein etwas friedlicheres Miteinander, das die Alten und Gelehrten vielleicht auch einmal lügen straft.
© MR